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Wolfgang Gregor kritisiert die teilweise sklavenähnlichen Bedingungen an Bord von Kreuzfahrtschiffen

Wolfgang Gregor, Auto des Buchs Der Kreuzfahrtkomplex - Traumschiff oder Alptraum?

Heute im Sonntags Interview: Wolfgang Gregor, Autor des Buchs «Der Kreuzfahrtkomplex»

«Der Kreuzfahrtkomplex – Traumschiff oder Alptraum» heisst Ihr Werk. Was sind denn nun für Sie die Kreuzfahrtschiffe? Traumschiff oder Alptraum?

Wolfgang Gregor: Ich beobachte eine dramatische Veränderung hin zum Massentourismus der viele unserer gesellschaftlichen Werte missachtet. Insofern sehe ich zunehmend einen Trend vom Traumschiff zum Alptraum.

Sie haben bisher 16 Kreuzfahrten selbst erlebt. Wenn man Ihr Buch liest könnte man aber meinen, dass Ihr Herzblut nicht wirklich für Kreuzfahrten schlägt?

Ich bin grundsätzlich kein Gegner von Kreuzfahrten, das Gegenteil ist der Fall und ich konnte von jeder meiner Kreuzfahrten etwas Positives mitnehmen. Als ehemaliger Kapitän hängt mein Herz immer noch sehr an der Seefahrt. Meine anfängliche Begeisterung für den sorglosen Urlaub auf dem Meer schlug jedoch im Laufe der Zeit in zunehmend kritische Distanz um.

Sie schreiben, dass die Besatzungen oft aus Entwicklungsländern stammten und teilweise unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften müssten. Sie erwähnen auch, dass Billigflaggen den Reedereien eine legale Basis zur Ausbeutung von Mitarbeitern bieten würden. Ist das tatsächlich so?

Beurteilen sie bitte selber am Beispiel eines Aida Restaurantstewards:  341 Stunden im Monat sind Pflichtarbeitszeit. Es wird an 7 Tagen in der Woche und 10 Monate am Stück ohne Urlaub gearbeitet. Das ist gesundheitsschädlich und würde in der Schweiz oder in Deutschland vom Arbeitsschutz nie genehmigt. Der Basis Stundenlohn beträgt ca. 1 Euro. Für Überstunden (ab der 192 Std.) werden 25% Zuschlag gezahlt – also ca. 1,25 Euro. Trinkgelder gibt es für Aida Kellner in der Regel nicht und die Passagiere glauben zunehmend, dass bei „All Inclusive“ und „Geiz ist Geil“ alles im Preis abgegolten ist. Keiner dieser Mitarbeiter ist bei einer Reederei angestellt, sondern bei externen Leiharbeitsfirmen und ausschliesslich auf Basis von Knebelverträgen. Sozialleistungen sind Fehlanzeige und Krankenversicherung im Urlaub, oder für die Familie gibt es nicht. Es gilt das Arbeitsrecht des Flaggenstaates – also zum Beispiel das von Panama oder den Bahamas. Das bedeutet quasi Rechtlosigkeit.

Zum Vergleich: Ein Kellner in einem 4 Sterne Hotel in Manila verdient bei ca. 45 Stundenwochen gleiches Geld und kann seine Familie jeden Tag sehen. Er hat ein geregeltes Sexualeben und kann die Geburt seiner Kinder erleben. Er kann Sonntags zur Kirche gehen und zu Beerdigungen von Familienangehörigen. Er kann sich um die Erziehung seiner Kinder kümmern und ist bei Problemen vor Ort. Leider gibt es zu wenige dieser Jobs auf den Philippinen oder in Madagaskar und das nutzen die Reedereien ziemlich schamlos aus. Der Chef von Aida verdient an einem Tag weit mehr als ein Zimmermädchen pro Jahr. Übrigens: das immer freundliche Lächeln der Bordmitarbeiter ist Bestandteil der Arbeitsordnung.

75 Reedereien sind heute mit 350 Schiffen auf den Weltmeeren unterwegs, wobei diese immer grösser werden. In diesem Jahr wurde die Harmony of the Seas mit 6’360 Gästen und 2’384 Crew-Mitgliedern in Betrieb genommen. Ihnen gefällt dieser Gigantismus (weitere Mega-Liner sollen in den kommenden zehn Jahren auf den Markt kommen) nicht wirklich?

Das muss jeder für sich selber entscheiden. Es gibt sicherlich Touristen, die sich am „Teutonengrill“ in Rimini wohlfühlen und die verurteile ich auch nicht. Für mich selber haben Schiffe mit über 2300 Passagieren nichts mehr mit klassischer Kreuzfahrt zu tun. Wenn ich dann jedoch die Werbung der Gesellschaften lese, die ein individuelles Kreuzfahrterlebnis und private Momente an Bord versprechen, dann zeugt das von bewusster Intransparenz und Unehrlichkeit.

Sie äussern sich sehr skeptisch, dass es bei einem Notfall gelingen würde diese Massen rechtzeitig zu evakuieren. Ausserdem stünden nicht genügend Rettungsboote bzw. Rettungsinseln zur Verfügung?

Es mag durchaus Situationen geben, in denen Schiffe evakuiert werden können. Bei der Titanic wäre das wohl gelungen, wenn genügend Platz in Rettungsbooten vorhanden gewesen wäre. Mich beunruhigt jedoch der Irrglaube von der Unsinkbarkeit der Schiffe. Im Februar dieses Jahres geriet das nur 7 Monate alte Schiff Anthem of the Seas mit über 6000 Menschen Bord in schwere See und es kam zu Schlagseiten von fast 40 Grad. Da befand sich das Schiff an der absoluten Stabilitätsgrenze! Es gibt kein Schiff, dass jedem Wetter trotzen kann erst recht nicht bei einer Kollision oder einem Feuer an Bord. Die See ist unberechenbar und sieht nicht immer so friedlich aus wie in den Katalogen.

Costa behauptet, dass für jeden Passagier ein Platz im Rettungsboot vorhanden ist und das ist eine glatte Lüge. Ich werde für diese Behauptung übrigens nicht verklagt – warum wohl? Da mangelt es an Respekt und Sorgfaltspflicht gegenüber den Passagieren. Gleiches gilt für Aida und einige andere Reedereien. Rettungsboote sind der natürliche Feind der hochprofitablen Balkonkabinen und Sicherheit kostet Geld und bringt erst einmal nichts.

Ein wenig Angst bekommt man, wenn man in Ihrem Buch «Kreuzfahrtkomplex» liest, dass man damit rechnen müsse, dass es früher oder später zu terroristischen Angriffen auf ein Kreuzfahrtschiffe kommen würde. Entsprechende Pläne von al-Qaida seien bekannt. Ist das nur Angstmacherei?

Welches Ziel würden Sie sich als Terrorist aussuchen, wenn sie möglichst viele Menschen auf engstem Raum spektakulär schädigen wollen. Damit verrate ich den Terroristen nichts Neues. Der Anschlag in Tunis im März 2015 war ein gezielter Anschlag auf Kreuzfahrttouristen bei dem 24 Menschen starben. Die US Coast Guard und die deutsche GSG 9 bereiten sich bereits aktiv auf Einsätze von gekaperten Schiffen vor und das ist auch gut so. Viele Häfen im östlichen Mittelmeer, oder in Bali werden wegen akuter Terrorismusgefahr nicht mehr angelaufen. Das sind vernünftige Entscheidungen, die übrigens von den Reedereien getroffen wurden und haben nichts mit Angstmacherei zu tun.

Die Kreuzfahrtschiffe fahren in vielen Regionen der Welt nur unter dem Schutz von internationalen Marinestreitkräften und die sind nicht zum Spaß im Roten Meer oder im Persischen Golf. Und wie einfach es wäre, Waffen, Brandbeschleuniger oder Sprengstoff an Bord zu schmuggeln habe ich ja in diesem Jahr mehrfach bewiesen und in meinem Buch veröffentlicht.

Abschliessende Frage: Sie sprechen bzw. schreiben schonungslos über einige definitiv vorhandene Probleme in der Kreuzfahrt. Wird man Sie trotzdem weiterhin auf Kreuzfahrtschiffen antreffen?

Ich sehe anhand ihrer Fragestellung mit einiger Genugtuung, dass Sie ebenfalls Probleme bei dieser Industrie sehen. Ein gemeinsames Ziel sollte es daher sein Kreuzfahrten nicht zu verdammen, sondern sie gesellschaftlich akzeptabel zu machen. Wir sollten an die Reedereien und ihre Gäste die gleichen Ansprüche stellen, wie an den„ guten Tourismus“, zum Beispiel den in der Schweiz. Dazu gehören eine vernünftige Regulierung und die Aufstellung von Grenzen, für diese außer Rand und Band geratene Industrie. Es gibt kein gottgegebenes Recht für einwöchige Kreuzfahrten zu 399 Euro. Ich werde aber schon aus Gründen weiterer Recherchen gelegentlich wieder Kreuzfahrten machen und dabei sicherlich auch einige schöne Momente genießen.

Eine Bitte habe ich an die Kreuzfahrt Blogs. Sein sie etwas kritischer – weg von der Hofberichterstattung. Vertreten Sie objektiv die Ansprüche Ihrer werteorientierten Passagiere – und das ist die Mehrheit. Dann dürfen Sie auch gerne loben.

 

* Wolfgang Gregor ist ursprünglich Seemann (Diplom-Nautiker) und Inhaber des Patentes “Kapitän auf großer Fahrt”. Bis zu seinem 30. Lebensjahr war er als nautischer Schiffsoffizier und Kapitän tätig, anschließend arbeitete er zwei Jahre als Berater im Ministerium für Häfen in Saudi-Arabien. Mit 32 Jahren erfolgte der Wechsel in die Industrie. Nach über acht Jahren Auslandsaufenthalt als Geschäftsführer in Taiwan und China wechselt er 2000 in die Zentrale eines M-DAX Konzerns nach München. Zuletzt war er dort Senior-Vice-President mit Zuständigkeit für Marketing, Public Affairs, Verbandsarbeit, Lobbying und Nachhaltigkeit.

Als ehemaliger Schiffs- und Wirtschaftskapitän und versteht der Autor die Zusammenhänge zwischen den Notwendigkeiten im Schiffs- und Reedereibetrieb und den wirtschaftlichen Abwägungen. In seinem Buch «Der Kreuzfahrtkomplex – Traumschiff oder Alptraum” definiert er die Rolle von Gesellschaft, Passagieren und Besatzungen in diesem Geflecht.

Seit 2014 ist Wolfgang Gregor als freier Journalist mit Fokus auf Nachhaltigkeit sowie Kreuzfahrtindustrie tätig. Zu diesen Themen gilt er als anerkannter Experte, der seine Thesen geradlinig und kontrovers vertritt. Seine Recherchen und Vorträge liefern oft die Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Kreuzfahrt in Politik und Medien.

 

4 Antworten

  1. Alles unterhalb von Deck 3 bleibt dem normalen Passagier an Bord verborgen – und das aus guten Gründen. Sechs Quadratmeter für zwei Personen, da ist in so mancher Knastzelle mehr Platz und Privatsphäre. Ich habe selbst über vier Monate an Bord eines Kreuzfahrtschiffes gelebt und gearbeitet. Als Deutscher hatte ich einen vergleichsweise humanen Arbeitsvertrag. Die einfachen Matrosen aus dem asiatischen Raum sind in der Regel 12 Monate ohne Pause im Einsatz. Sind das normale Arbeitsbedingungen? Trotzdem heißt es für alle an Bord immer gut drauf sein sobald man im öffentlichen Bereich unterwegs ist. Das wird schließlich in so einer schwimmenden Spaßfabrik mit verkauft…

  2. Herr Gregor hat da schon recht. Diese Rettungsübungen sind schon eher da um die Leute zu beruhigen, aber ob es etwas bringt im allgemeinen Chaos?? Ich habe da schon meine Zweifel….
    Wir haben auch schon so manche Kreuzfahrt gemacht und festgestellt, dass je günstiger die Reise und grösser das Schiff, auch das Publikum dementsprechend ist und sich auch so benimmt.
    Wir sind immer mit Costa gefahren, aber wir hatten nie den Eindruck dass das Lächeln der Angestellten aufgesetzt ist. Es kam immer von herzen obwohl bei jeder Fahrt immer mehr an Personal gespart wurde und der ganze Stress auf wenigen Schultern lag. Nie habe ich ein böses Wort oder ein “Lätsch” bei den Angestellten gesehen – das war wohl den Reisenden (natürlich nicht alle) vorbehalten die da ziemlich Gebrauch davon machten…..
    Tut mir leid für mein Urteil, uns ist das Kreuzfahrern ziemlich vergangen.

  3. Also bei Aida kenne ich mich nun nicht aus.
    Aber wenn ich mit div. Reedereien unterwegs bin, und bestimmte Angestellte wiedersehe, dann werden sie vielleicht mit ihrem Job zufrieden sein?!
    Finde es natürlich gut, wenn schlimme Sachen an das Tageslicht kommen, um sie hoffentlich irgendwann zu verbessern.
    Allerdings braucht man selbstverständlich auch einen reisserischen Titel für ein Buch, wenn man möglichst viele verkaufen will….?!?

  4. Also das mit der Sklaverei trifft vielleicht bei AIDA zu , jedoch nicht bei MSC Kreuzfahrten. Da kenne ich Angestellte persönlich,zb. Animator 22.jährig verdient 1200euro, oder vom Ausflugsbüro wo zw.8-14Std. gearbeitet wird je nach Route.Die Angestellten habe an gewissen Orten auch frei,nicht nur die vom Service.Gearbeitet wird je nach Abmachungen zw.3-9monaten am Stück, das ist nicht viel anders als ein normaler Saisonarbeiter in einem Skigebiet.

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