In einer Welt, in der der Tourismus immer wieder zu einem zweischneidigen Schwert wird – Lebensader für die Wirtschaft einerseits, Quelle für übermäßigen Besucherandrang und negative Auswirkungen auf die Lebensqualität andererseits – steht Amsterdam vor einer Entscheidung, die als Modell für andere überlastete Städte dienen könnte. Die holländische Metropole hat den ehrgeizigen Plan, die Anzahl der Flusskreuzfahrtschiffe, die in der Stadt anlegen, drastisch zu reduzieren.
Mit rund 2’300 Schiffen, die letztes Jahr am Stadtwasser angelegt haben, hat der Stadtrat ein klares Signal gesetzt: Bis 2028 soll diese Zahl auf 1’150 reduziert werden. Ein Schritt, von dem man sich eine Reduktion der Touristenzahlen um 271’000 Personen erhofft, die allerdings eine wirtschaftliche Einbuße von 73,5 Millionen Euro jährlich zur Folge hat. Dies berichtet Dutchnews.nl.
Bis zu 1’000 Flusskreuzfahrtschiffe während Tulpensaison
Die Problematik der Kreuzfahrten zeigt sich besonders in der Tulpensaison, wenn bis zu 1.000 Flussschiffe in der Hauptstadt ankern. Laut Hester van Buren, der Finanzchefin der Stadt, besteht ein Konsens darüber, die Touristenzahl unter 20 Millionen pro Jahr zu halten. Die Herausforderung besteht darin, dass Amsterdam keinen Unterschied zwischen “guten” und “schlechten” Touristen machen will – es geht um eine generelle Reduzierung, um die Überfüllung der Stadt und die Zustellung der Gehwege durch parkende Reisebusse in den Griff zu bekommen.
Eine in Auftrag gegebene Studie belegte, dass diese Maßnahme nahezu 200.000 weniger Hotelübernachtungen zur Folge hätte und den Reisebusverkehr um 64.400 Kilometer reduzieren würde. Diese Erkenntnis wirft für Hoteliers natürlich Fragen auf.
Remco Groenhuijzen, der General Manager des Mövenpick Hotels im Stadtzentrum, unterstreicht, dass nun Alternativen für die Füllung der leerstehenden Hotelzimmer gesucht werden müssen. Er betrachtet die Politik eher als symbolischen Akt, der das eigentliche Problem nicht löst.
Auch Budgettouristen sollen Amsterdam weniger besuchen
Zur Untermauerung des Commitments gegen den Massentourismus hat die Stadt auch die zweite Phase ihrer “Stay Away”-Kampagne gestartet, in dem Versuch, die Anzahl von Budget-Touristen, die hauptsächlich wegen Marihuana und Unterhaltung kommen, zu verringern. Ebenso wurden Touristensteuern auf eines der höchsten Niveaus weltweit gehoben. Weitere Forschungsergebnisse speziell zu ozeangehenden Kreuzfahrten werden vor dem Sommer erwartet, mit dem Ziel, auch hier Einschnitte vorzunehmen.
Van Buren resümiert treffend: “Über Tourismus ist ein weltweites Problem und Touristen mögen es auch nicht, wenn Orte zu voll sind. Aber wir können nicht einfach einen Zaun um Amsterdam bauen.”
Amsterdams Ansatz ist mutig und konsequent. Während die Auswirkungen dieser Politik auf die lokale Wirtschaft und den Tourismussektor deutlich spürbar sein werden, setzt die Stadt ein wichtiges Zeichen für Nachhaltigkeit und Lebensqualität. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob dieser Ansatz eine Trendwende herbeiführt – nicht nur in Amsterdam, sondern in Städten weltweit, die mit ähnlichen Herausforderungen kämpfen.
Hans Stieger meint: Die Dosis macht das Gift – Amsterdams Kampf gegen den Kreuzfahrt-Tourismus
Es öffnet sich das nächste Kapitel im Buch des nachhaltigen Tourismus: Amsterdam, eine der malerischsten und beliebtesten Städte Europas, greift zu einer radikalen Maßnahme – der Halbierung seiner Flusskreuzfahrtschiffe bis 2028. Doch ist diese Maßnahme wirklich der Weisheit letzter Schluss im Kampf gegen Überfüllung und Umweltbelastung, oder befassen wir uns hier mit einem gut gemeinten, aber fehlgeleiteten Bemühen, das letztlich seine Ziele verfehlt?
Schauen wir uns zunächst an, warum diese Entscheidung als so drastisch empfunden wird. Amsterdams Charme zieht Jahr für Jahr Millionen von Touristen aus aller Welt an. Die Beschaulichkeit seiner Grachten und die historische Eleganz seiner Architektur sind nun einmal ein Touristenmagnet. Doch genau diese Anziehungskraft ist es, die die Stadt jetzt dazu zwingt, regulierend einzugreifen. Die Problematik knüpft sich an die berüchtigte Formel des Massentourismus: Überfüllung, Lärm, Umweltverschmutzung und eine Beeinträchtigung der Lebensqualität der Einheimischen.
Der Tourismus ist nicht per se das Übel
Die Entscheidungsträger in Amsterdam sind in einer Zwickmühle. Einerseits ist der Tourismus eine Haupteinnahmequelle, andererseits erdrückt die schiere Masse der Besucher die Stadt. Die Kürzung der Flusskreuzfahrten mag auf den ersten Blick ein effizienter Schachzug im Spiel der Touristenreduktion sein, doch werfen wir einen Blick auf die Opfer dieser Entscheidung: Die Hotelbranche, lokale Geschäfte, Restaurants und nicht zuletzt die vielen Arbeiter im Tourismussektor, deren Einkommen durch die Absage der Flusskreuzfahrtschiffe einen empfindlichen Dämpfer erleiden könnte.
Eine nuancierte Betrachtung deckt aber auch auf, dass nicht der Tourismus per se das Übel ist, sondern seine ungesteuerte Quantität und Qualität. Dabei übersieht die Stadtregierung nicht, dass Amsterdam für alle da sein sollte – für Touristen wie für Einheimische. Tourismus der richtigen Art kann kulturellen Austausch fördern und für ein vielfältiges, buntes Stadtbild sorgen, ganz ohne die negativen Begleiterscheinungen des “Over-Tourism”.
Letztlich dreht sich alles um das Gleichgewicht. Und hier liegt der springende Punkt in Amsterdams Entscheidung: Es ist ein Versuch, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen. Im Idealfall wird der generierte Tourismus nachhaltiger und verträglicher gestaltet. Vielleicht ist die verringerte Anzahl der Kreuzfahrtschiffe ein notwendiger erster Schritt, um die Stadt auf dem Weg zu einer tragfähigeren Zukunft zu lenken – wenn auch ein schmerzhafter für jene, die finanziell darunter leiden werden.
Es gibt keine Einheitslösung gegen Overtourismus und Umweltbelastung
Was man allerdings nicht vergessen darf: Es gibt keine Einheitslösung gegen Overtourmus und Umweltbelastung. Was für Amsterdam funktionieren mag, ist nicht zwangsläufig auf andere Städte übertragbar. Ebenso ist Skepsis geboten, inwieweit symbolhafte Akte tatsächlich konkrete Resultate zeitigen. Werden weniger Flusskreuzer wirklich die touristische Flut eindämmen, oder verlegen sich die Besucherströme lediglich auf andere Reiseformen, die ebenso belastend wirken können?
Die Entscheidung Amsterdams ist ein Aufruf zum Dialog und ein Anstoß zur Selbstreflexion – für Städte, Touristen und die Reisebranche gleichermaßen. Es ist ein ermutigendes Zeichen, dass Städte ihr Recht auf Kontrolle des Tourismus wahrnehmen und aktiv werden. Doch muss jeder gefasste Plan wohlüberlegt sein und auf langfristige Wirkung abzielen, ohne dabei die Wirtschaft zu strangulieren oder bestimmte Besuchergruppen unfairly zu benachteiligen. Denn letztlich sollte jedem Interessierten die Möglichkeit gegeben sein, die Schönheit Amsterdams zu erleben – in einer Weise, die für alle Beteiligten tragbar ist.