Als Katharina Afflerbach am Abend des 13. Januar 2012 Feierabend machte und das Büro von Costa Kreuzfahrten in der Hafencity verließ, ahnte sie nicht, dass für lange Zeit ihr letzter normaler Arbeitstag hinter ihr lag. Wenige Stunden später havarierte eines der Schiffe ihres Arbeitgebers, die Costa Concordia, mit 4.229 Menschen an Bord vor der italienischen Insel Giglio. Zweiunddreißig Menschen verloren ihr Leben, darunter zwölf Deutsche, viele wurden verletzt. Katharina Afflerbach, die eigentlich im Marketing tätig war, wurde im Krisenmanagement eingesetzt. Zehn Jahre nach dem traurigen Unglück blickt sie zurück.
Katharina Afflerbach, heute 44, hatte eigentlich einen ganz normalen Bürojob. Sie arbeitete in der Marketingabteilung von Costa Kreuzfahrten in Hamburg, konzipierte Werbeaktionen und begleitete Dreharbeiten für Fernsehwerbespots. Überstunden und Dienstreisen gehörten ebenso zu ihrem Job wie Videokonferenzen mit Kollegen aus verschiedenen Ländern. Routine für die gebürtige Siegerländerin, die seit Jahren in der Kreuzfahrtbranche tätig ist. Doch als sie am Vormittag des 14. Januars 2012 die Nachrichten hörte, änderte sich alles. „Ich bin sofort ins Büro gefahren. Mir war klar, dass jetzt jede Hand gebraucht wurde. Ich weiß noch, dass ich zitterte, als ich in der U-Bahn saß und auf den Monitoren die dramatischen Bilder aus Italien sah“, erinnert sie sich.
In Todesangst ins Meer gesprungen
In der Buchungsabteilung liefen unterdes die Telefone heiß. Die Kunden, die auf zukünftige Reisen mit der Costa Concordia gebucht waren, mussten kontaktiert und umgebucht, die Reisebüros informiert und instruiert werden. Insgesamt wickelte das Hamburger Costa Büro 12.000 Umbuchungen ab, wie es später in einer Veröffentlichung der Niederlassung hieß.
„So vieles war parallel zu bewältigen. Wir bekamen am laufenden Band neue Informationen aus Italien. Am Anfang war auch nicht klar, wie viele Passagiere noch als vermisst galten, das tat besonders weh“, meint Afflerbach. 566 deutsche Passagiere waren auf der Unglücksfahrt. Die Reiserückkehrer rief Katharina Afflerbach zusammen mit einer Kollegin an, bot psychologische Hilfestellung durch die Koordinierungsstelle NOAH (Nachsorge-, Opfer- und Angehörigenhilfe) der Bundesregierung an. „Manche Passagiere erzählten mir minutiös, was sie erlebt hatten. Wie sie wertvolle Zeit verloren hatten, weil zuerst nur von einem Stromausfall die Rede gewesen war. Wie sie über Tische und Bänke und die Außenwand des sinkenden Schiffs geklettert und manche sogar in Todesangst ins Meer gesprungen waren.“ Darauf vorbereitet war die Marketingmanagerin nicht. „Ich habe einfach versucht, zuzuhören und für die Menschen da zu sein.“
Das Schiff lag wie ein gigantischer gestrandeter Wal vor Giglio
Ein paar Wochen später reiste Afflerbach zum ersten Mal nach Giglio. Sie begleitete die Angehörigen der deutschen Opfer sowie der deutschen Passagiere, die nach wie vor vermissten wurden. „Das Schiff lag wie ein gigantischer gestrandeter Wal vor Giglio. Es war ein erschütternder Anblick, denn hier waren so viele Menschen gestorben und noch immer suchten Taucher nach Vermissten.“
Wieder musste die Marketingmanagerin über sich hinauswachsen. Telefonischer Kontakt mit den betroffenen Familien war das eine, ein persönliches Gegenübertreten etwas ganz anderes. Manchmal brach blanke Wut aus einem Trauernden, die sich auf Katharina Afflerbach, der Costa-Repräsentantin, entlud: „Sie sind an allem schuld!“ Katharina Afflerbach erinnert sich: „Ich horchte auf meine Intuition. Ich konnte ja nicht viel tun, um den Familien beizustehen, Reporter fernhalten, Sitzreihen beim Gedenkgottesdienst anweisen, Blumen reichen, als wir mit einem Boot die Concordia umkreisten. Die Schuldfrage spielte für mich keine Rolle. Ich stellte mich in den Dienst der Menschen.“
Eine Begegnung ist ihr besonders in Erinnerung geblieben. In einem Hotel in Rom hatten die Angehörigen der vermissten Passagiere die Möglichkeit, mit den Koordinatoren der Rettungstaucher zu sprechen. „Ich hatte bereits erlebt, wie der Schmerz Menschen mit sich reißt, die eine Todesnachricht erhalten haben. Doch der Schmerz, den ich hier aus nächster Nähe miterlebte, war ein anderer, weil sich unter die Verzweiflung noch die Hoffnung mischte. Das aushalten zu müssen, ist kaum vorstellbar. Diese Menschen haben meinen größten Respekt verdient.“
Schicksalsschläge gehen uns alle an
Vier Jahre später stand Katharina Afflerbach auf der anderen Seite. Am Himmelfahrtstag 2016, einem Frühlingstag, wie er strahlender und schöner nicht sein konnte, überfuhr ein einundachtzigjähriger Autofahrer ihren fünfunddreißigjährigen Bruder. Nun war sie es, deren Leben plötzlich stillstand. Nun erlebte sie selbst, wie es sich anfühlt, wenn man einen geliebten Menschen von jetzt auf gleich gehen lassen muss. „Schicksalsschläge gehen uns alle an. Früher oder später sind wir alle dran, ob wir wollen oder nicht“, weiß Afflerbach heute. Und dennoch, so hat sie festgestellt, stehen Betroffene oft allein da. „Weil viele sich unsicher dabei fühlen, wie sie mit Trauernden umgehen sollen. Vielleicht, weil Trauer nicht so schnell heilt wie ein gebrochener Arm.“ Trauer lässt sich nicht einfach abhaken. Nach der Beerdigung ist es nicht vorbei, sondern da geht es erst ganz, ganz langsam los mit dem Begreifen, Verarbeiten, Verwandeln und Heilen.
Manchmal sucht sich das Leben harte Wege
In ihrem Buch „Manchmal sucht sich das Leben harte Wege“ erzählt Katharina Afflerbach, mittlerweile SPIEGEL-Beststeller-Autorin, von ihren Trauererfahrungen, von ihrer Mitarbeit im Concordia-Krisenmanagement und von anderen Menschen, denen es gelang, nach einem Schicksalsschlag wieder Zuversicht, Mut und Freude zu empfinden und die quälende Frage nach dem „Warum“ loszulassen. Das Buch ist im Goldegg Verlag erschienen.
Manchmal sucht sich das Leben harte Wege von Katharina Afflerbach. Wahre Geschichten, die berühren und Zuversicht geben. Softcover, 180 Seiten 19.95 Euro.